DER SINGLE - DAS UNBEKANNTE WESEN IN DEN GEMEINDEN
09.12.2022
Menschen, die alleine leben – neudeutsch auch "Singles" genannt – sind längst keine Ausnahmeerscheinung oder Seltenheit mehr. Seit Jahren wächst ihr Anteil in der Bevölkerung: Lag der Anteil der Singlehaushalte 1991 noch bei rund 34 Prozent, ist er aktuell auf rund 42 Prozent angewachsen, das sind über 17 Millionen Haushalte. Bis 2040, so die Prognose des Statistischen Bundesamtes, werden es über 45 Prozent sein. In Großstädten wie Berlin oder Hamburg sind die Einpersonenhaushalte schon längst in der Mehrheit.
Das stellt auch die Pfarrgemeinden vor besondere Herausforderungen – kommen doch Singles in der üblichen Pastoral gar nicht oder allenfalls am Rande vor. Nach der Kinder- und Jugendpastoral geht es gleich mit der Familienseelsorge weiter, später folgt die Seniorenpastoral. Singles fallen da häufig hinten runter.
Dies zu ändern, haben sich vier Personen aus ganz Deutschland vorgenommen, die sich seit längerer Zeit mit der Entwicklung einer eigenen "Singlepastoral" beschäftigen. Vor rund zwei Jahren haben sie sich zusammengefunden, um bei einem Vernetzungstreffen zum Nachdenken und zum gegenseitigen Austausch über pastorale Angebote für Singles anzuregen. Dann kam Corona dazwischen – und erst jetzt konnten sie mit finanzieller Unterstützung des Bonifatiuswerkes zu einer "Denkwerkstatt Singlepastoral" in das Marcel-Callo-Bildungshaus im thüringischen Heiligenstadt einladen. Gekommen waren rund 35 Personen aus ganz Deutschland, die vor Ort bereits Angebote für Singles geschaffen oder dies für die nahe Zukunft geplant haben.
Michael Hänsch aus Lindlar (Nordrhein-Westfalen), Mitglied im Bonifatiusrat, ist einer der Initiatoren. "Irgendwie passierte in der Pastoral in den Gemeinden nichts bis gar nichts", sagt Hänsch im Gespräch. Deshalb hat er über persönliche Kontakte die Initiative ergriffen, gemeinsam eine Singlepastoral in der Kirche voranzubringen. "Wir wollen Leute zusammenbringen, die das Thema interessiert oder die bereits Erfahrung damit haben", beschreibt er seine Motivation.
Auch der heutige MDR-Rundfunkbeauftragte der katholischen Kirche, Guido Erbrich, gehört zu den Initiatoren der Veranstaltung. Früher hat er bei der Kirchenzeitung für die ost- und mitteldeutschen Bistümer "Tag des Herrn" gearbeitet. Immer wieder hätten Menschen dort Kontaktanzeigen aufgegeben, erzählt seine Kollegin Maria Körner. Und die Inserenten hätten immer wieder nachgefragt, ob denn die Kirchenzeitung nicht darüber hinaus Veranstaltungen für Singles anbiete. Die gab es damals noch nicht – doch Maria Körner und Guido Erbrich entdeckten die Marktlücke. 2003 organisierten sie erstmals ein Singlewochenende für Menschen aus dem Verbreitungsgebiet der Kirchenzeitung.
Damit solche und andere Ideen künftig selbstverständlicher Bestandteil der Seelsorge werden, haben sich die Initiatoren der Denkwerkstatt mit einer kurzen Abschlusserklärung explizit an die Seelsorgeamtsleiter der deutschen Bistümer gewendet. Darin weisen auf das bestehende Defizit in den pastoralen Angeboten für diese Zielgruppe hin. "Deshalb", so heißt es in der Erklärung, "sollten kirchliche Leitungs- und Arbeitsebenen Verantwortung übernehmen, dass eine Singlepastoral in der Arbeit der Diözesen und Seelsorgeeinheiten ihren notwendigen Platz gewinnt." Im kommenden oder übernächsten Jahr sollen dann in einer weiteren Denkwerkstatt eine erste Zwischenbilanz gezogen und der Austausch weiter intensiviert werden.
Das Projekt wurde von dem Bonifatiuswerk mit 3.000€ gefördert.
(Oliver Gierens/mos)